Kirche für Andere –
zum Beispiel für Flüchtlinge

Stephen Beck

„Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“ Dieser Ruf Dietrich Bonhoeffers echot beständig in meinen Ohren, seit ich in Deutschland arbeite. Egal ob Freikirche oder Landeskirche, die Zeit ist gekommen, unser monokulturelles Verständnis zu erweitern. Schon heute treffen sich in unserer Gemeinde verschiedene Kulturen – sei es im Verhältnis 50/50 oder 40/60 oder 80/20 oder 20/80. Wer heute seine Gemeindetür weit aufmacht, wird überraschende Verwandlungen erleben. Wer auf Migranten und Flüchtlingen zugeht, ihnen in ihrer Not praktische Hilfe anbietet, sie einlädt, ihre Persönlichkeit, Geschichte, Kultur und Religion in die Gemeinschaft der Gläubigen einzubringen, sorgt nicht nur für einen Umbruch in der Gemeinde, sondern auch für neue Abenteuer im eigenen geistlichen Leben.

Unerwartete Besucher aus Lateinamerika

Ein Beispiel, das für viele steht: Eine Familie aus El Salvador wird 2015 zu einer deutschen Gemeinde in Frankfurt eingeladen. Die Familienmitglieder sprechen damals noch kein Deutsch und freuen sich über Übersetzungen, unter anderem in ihre Landessprache. Sie sind beeindruckt von der gemeindlichen Qualität, die sie erleben. Die Beziehungen sind liebevoll, es herrscht eine leidenschaftliche Spiritualität, Menschen werden zu einer gabenorientierten Mitarbeiterschaft motiviert und im Gottesdienste erleben sie eine Verkündigung, die sie nicht nur inspiriert, sondern motiviert und näher zu Jesus wachsen läßt. All das sind Qualitätsmerkmale, an denen die Gemeinde jahrelang gearbeitet hatte.

Die salvadorianische Familie kennt viele Menschen mit spanisch-sprechendem Hintergrund und lädt sie zum Gottesdienst ein. Freitagbends findet im Gemeindehaus ein Latino-Hauskreis statt.

Eine multikulturelle Gemeinschaft

Ein Gemeindemitglied lädt eine Nachbarsfamilie, gerade erst aus El Salvador eingetroffen, zur Gemeinde ein. Sie bekommen ein Namensschild und werden herzlich aufgenommen, obwohl sie kein Wort verstehen. Durch die Übersetzerin lädt der Pastor die Familie zu einem Willkommens-Lunch bei ihm zu Hause ein. 25 Personen sitzen im Esszimmer. Um den Tisch herum ist nicht genug Platz, also werden zwei Kreise gebildet, einer an den Wänden entlang und einer um den Tisch herum. Die Frau des Pastors hat ein großes Essen vorbereitet. Die Stimmung ist herzlich und laut. Am Tisch sitzen Deutsche, Iraner, Kolumbianer, Venezuela, Amerikaner und die Familie aus El Salvador.

Der Pastor stellt zwei Fragen: „Was hat dich das erste mal zu unserer Gemeinde gebracht?“ Die meisten wurden von jemandem eingeladen. Die zweite Frage: „Warum bist du wiedergekommen?“ Viele sprechen entweder von der biblischen Predigt, die ihr Herz bewegt hatte und zu einer tieferen Liebe zu Jesus motivierte, oder von der Mischung von liturgisch-geordnet und spontan, von ruhig und lebendig in der Anbetung.

Ein Platz in der Gemeinde

Vom Willkommens-Lunch geht es zum 16.30 Uhr zum Gottesdienst. Nach dem Gottesdienst nimmt der Pastor die Worship-Koordinatorin der Gemeinde am Arm und stellte sie der Familie aus El Salvador vor. „Diese Leute haben vom Herrn eine besondere Gabe im Bereich der Musik empfangen. Kannst du sie bitte entsprechend in unsere Gottesdienstleitung integrieren?“ Die Worship-Koordinatorin kann ein wenig Spanisch. Sie lädt die Familie ein, zum „Kreativ-Abend“ acht Tage später zu kommen, damit die Worship-Koordinatorin ihre musikalischen Gaben einbringen kann.

Was Gott sucht, sind Gemeindepflanzer und Gemeindereformatoren, die bestimmte Voraussetzungen haben. Sie sind nicht arrogant und schon gar nicht unbelehrbar. Sie sind demütig, Menschen des Gebets, folgen nicht ihrer eigene Agenda, sondern suchen den Weg, den der Heilige Geist ihnen weist.

Das Missionsfeld beginnt vor unserer Haustür

Eine missionale Gemeinde erkennt ihr direktes Umfeld als ihr wichtigstes "Missionsfeld". Die Gemeinde hat eine liebevolle Offenheit und Respekt gegenüber den Anderen, egal was ihr kultureller Hintergrund oder ihre Religion sein mag. Gemeindemitglieder sehen es als ein Privileg, wenn kirchenfremde Menschen ihrer Gemeinde einen Moment des Vertrauens schenken und in ihren Kreis eintreten.

Gemeindemitglieder halten Ausschau nach Bedürfnissen in ihrem Netzwerk von Freunden und bringen sich in das Leben der Anderen ein. Sie sehen ihr Netzwerk von Kontakten, Verwandten und Bekannten als Missionsfeld, in das sie Gott täglich schickt. Sie selbst sind die Missionare.

Die Gemeindemitglieder sehen ihre Gemeinde als einen Missionsvorposten. Sie laden Menschen aus ihrem Netzwerk in die Gemeinde ein, sei es in ihren Hauskreis, in eine Entdeckergruppe oder in den Gottesdienst. Sie sind dazu in der Lage, weil die Leitung der Gemeinde immer an Nicht-Christen denkt und die Versammlungen so plant und mit Inhalt füllt, dass man sich nicht schämen muss, wenn man einen Nicht-Christen mitbringt.

Drei Fragen

Einer missionalen Gemeinde geht es nicht darum, wieviele Gottesdienstbesucher es gibt, wie hoch die Mitgliederzahl ist oder ob die Gemeinde ihr eigenes Gebäude hat. Worauf hingegen Wert gelegt wird, ist:

1. Wie viele verschiedene Kulturen genießen gemeinsam mit den Einheimischen Einheit, Wertschätzung und Respekt?

2. Wie viele Nicht-Christen kommen zu den Gottesdiensten? Wenn 10 Prozent der Gottesdienstbesucher Nicht-Christen sind, ist das ein „Erfolg“!

3. Wie viele Menschen bekehren sich und werden schließlich getauft?

Ein neues Paradigma von Gemeinde

Missionale Gemeinden freuen sich über die Chance, einem neuen Paradigma zu folgen, das nichts anderes ist als ein Vorgeschmack des noch kommenden Himmels. Sie sehen die Möglichkeit, dass ISIS-Kämpfer unter den Flüchtlingen heimlich in ihr Land schlüpfen könnten, nicht in erster Linie als Bedrohung, sondern als Gelegenheit mitzuerleben, dass auch in unserer Zeit Gott aus einem Saulus-Christen-Verfolger einen Paulus-Missionar machen kann.

Gemeinsam mit Stephen Beck und seiner Frau Susan bei ihrem Besuch in Nordfriesland

Deswegen ist die Einstellung: „Lass sie kommen! Wir machen Platz für jeden!“ Und freuen uns über die Ergebnisse von Begegnung, gegenseitigem Lernen – und Geschichten von Verwandlungen vom Saulus zum Paulus. Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie für andere da ist.

Dr. Stephen Beck ist Dozent der Freien Theologischen Hochschule Gießen. Im Juni erscheint sein Buch „Mission Mosaikkirche" bei Brunnen.

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