Neue Studie–
Wie liberale Gemeinden sich verändern

Von Christian A. Schwarz

Eine neue NCD-Studie offenbart hoch interessante Veränderungen, die sich in liberalen Gemeinden, die einen NCD-Prozess begonnen haben, studieren lassen. Die Ergebnisse stellen viele Klischees, die den öffentlichen Diskurs bestimmen, in Frage.

Im Januar-Newsletter hatte ich unsere Studie zum Fundamentalismus vorgestellt, die überraschende – und in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte – Tatsachen ans Licht brachte:

1. Fundamentalismus ist keineswegs, wie vielfach behauptet, ein "Erfolgsrezept" für zahlenmäßiges Wachstum, sondern steht in einer eindeutig negativen Korrelation sowohl zu Wachstum als auch zu gemeindlicher Qualität.

2. Fundamentalismus ist keine Schwarz-Weiß-Kategorie ("Du bist Fundamentalist und ich nicht!"), sondern ein Phänomen, das jeden Christen und jede Gemeinde betrifft, wenngleich in unterschiedlicher Intensität.

3. Gemeinden, die in einen NCD-Prozess eingestiegen sind, reduzieren fundamentalistische Tendenzen unter ihren Mitgliedern "ganz von selbst" (d.h. ohne dass diese Frage notwendigerweise überhaupt thematisiert würde).

4. Vielleicht am interessantesten und für viele am überraschendsten: Während als Ergebnis eines NCD-Prozesses der "Fundamentalismus-Index" sinkt, steigt gleichzeitig die Hingabe an die Bibel und der Einsatz für Evangelisation.

Das Thema, um das es hier ging, ist so bedeutsam, dass es sich lohnt, das Thema aus einer erweiterten Perspektive zu betrachten. Wenn als typisches Ergebnis der natürlichen Gemeindeentwicklung die fundamentalistischen Tendenzen reduziert werden, wie sieht es dann mit "liberalen Tendenzen" aus? Welche Veränderungen lassen sich in diesem Bereich beobachten?

Der gegenwärtige Diskussion über liberale Gemeinden ist genauso von Klischees geprägt wie die Diskussionen über Fundamentalismus. Wenn ich es richtig sehe, sind die drei häufigsten Überzeugungen, die im Blick auf dieses Thema vertreten werden – abhängig davon, wer diese Überzeugung vertritt – die folgenden:

1. Je weniger fundamentalistisch eine Gemeinde ist, desto liberaler wird sie unweigerlich. Bei dieser Sichtweise werden die beiden Begriffe "liberal" und "fundamentalistisch" als die beiden Endpunkte eines Kontinuums betrachtet. Vor diesem Hintergrund mögen gemeindliche Mitarbeiter, denen es vor allem um Themen wie Bibel und Evangelisation geht, zögerlich sein, sich auf einen NCD-Prozess einzulassen: "Wir sind uns ja einig, dass eine fundamentalistische Haltung manches Fragwürdige beinhaltet. Aber was wir ganz sicher nicht wollen, ist so zu werden wie die Liberalen."

2. Andere dagegen sind davon überzeugt, dass liberale Gemeinden generell die "besseren Gemeinden" seien. Diese Gemeinden mögen vielleicht nicht wachsen, aber sie haben die "richtige" theologische Agenda. Sie errichten keine Mauern gegenüber Nichtchristen (oder "der Welt"), sondern bringen zum Ausdruck, wie die christliche Botschaft für die Gesellschaft relevant sein kann, auch wenn dabei keinerlei christliche Terminologie verwendet werden mag.

3. Andere wiederum (die zum gegenteiligen theologischen Lager gehören) vertreten die genau entgegengesetzte Überzeugung. Für sie sind liberale Gemeinden per se "schlechte Gemeinden", sofern sie überhaupt "Gemeinde" genannt werden können. Der Begriff "liberal" ist bereits ein sicherer Indikator, dass zentrale Lehren der Bibel ignoriert werden und dass diese Gemeinden lediglich mit dem Zeitgeist schwimmen.

4. Wer hat nun Recht? Um empirisches Licht in das Thema zu bringen, haben wir ein ähnliches methodisches Verfahren angewandt wie in unserer Fundamentalismusforschung. Als ersten Schritt, der es uns ermöglichen sollte, Gemeinden mit liberalen Tendenzen einer nicht-liberalen Vergleichsgruppe gegenüberzustellen, haben wir Folgendes getan:

● Erstens haben wir einerseits diejenigen Gemeinden ausgewählt, in denen der Pastor bzw. die Pastorin, wenn sie nach der Theologie der Gemeinde gefragt wurden, den Begriff "liberal" angekreuzt haben, und andererseits diejenigen, in denen das Kästchen "liberal" nicht angekreuzt wurde. Wie bei der Fundamentalismusforschung sollte diese Art der Selbsteinschätzung keine tatsächliche Kategorisierung darstellen, sondern war lediglich eine methodische Vorstufe, um diejenigen Items zu identifizieren, die am Ende für die Entwicklung eines Quotienten, der liberale Tendenzen misst, verwendet werden konnten.

● Zweitens wurde auf der Grundlage dieser Items ein Index entwickelt, der liberale Tendenzen misst. Anschließend haben wir Gemeinden mit einem hohen Wert für liberale Tendenzen (57 Punkte oder höher) mit denen verglichen, die einen niedrigen Wert aufweisen (38 oder niedriger).

● Drittens haben wir in allen diesen Kategorien die Entwicklung im Laufe der Zeit untersucht (development over time), d.h. die Situation zum Zeitpunkt des ersten Gemeindeprofils im Vergleich zu Folgeprofilen.

Die meines Erachtens wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie sind die folgenden:

1. "Liberal" korreliert im Blick auf die Gesundheit der Gemeinde sowohl mit negativen als auch mit positiven Tendenzen.

Während in unserer Fundamentalismusforschung alle identifizierten Items, in denen sich fundamentalistische von nicht-fundamentalistischen Gemeinden am stärksten unterscheiden, negative Tendenzen darstellten (d.h. eine geringere Qualität als in nicht-fundamentalistischen Gemeinden zum Ausdruck bringen), ergibt sich aus der Untersuchung liberaler Gemeinden ein vielschichtigeres Bild. Wir wählten die acht Items aus, in denen sich die Gemeinden, in denen der Pastor bzw. die Pastorin "liberal" angekreuzt hatten, von denen, in denen dieser Begriff nicht angekreuzt wurde, am meisten unterschieden. Diese acht Items lassen sich auf vier Kategorien aufteilen, die jeweils zwei Elemente enthalten, von denen eines die Situation auf persönlicher Ebene und das andere die Situation auf Gemeinschaftsebene beschreibt:

Kategorie 1: Bewusstsein für geistliche Gaben. Die beiden Items in dieser Kategorie waren: "Meine Aufgaben in der Gemeinde entsprechen meinen Begabungen" (individuelle Ebene), und "Unsere Gemeinde bietet Gemeindemitgliedern regelmäßig Hilfestellung zur Entdeckung der eigenen Gaben an" (Gemeinschaftsebene). Die Selbsteinstufung als "liberal" weist eine negative Korrelation zu beiden Bereichen auf.

Kategorie 2: Zielorientierung. Die beiden Items in dieser Kategorie waren: "Ich kenne die Ziele, an denen wir als Gemeinde arbeiten" (individuelle Ebene) und "Unsere Leiter unterstützen aktiv die Gemeindeentwicklung" (Gemeinschaftsebene). Die Selbsteinstufung als "liberal" weist eine negative Korrelation zu beiden Bereichen auf.

Kategorie 3: Geistliche Leidenschaft. Die beiden Items in dieser Kategorie waren: "Ich lese persönlich gerne die Bibel" (individuelle Ebene) und "Ich bin von meiner Gemeinde begeistert" (Gemeinschaftsebene). Einmal mehr hat die Selbsteinstufung als "liberal" eine negative Korrelation zu beiden Bereichen.

Kategorie 4: Klima der Offenheit und Akzeptanz gegenüber Außenstehenden. Die beiden Items in dieser Kategorie waren: "In den Gruppen, zu denen ich gehöre, fällt es neuen Gruppenmitgliedern leicht, sich in das Gruppenleben zu integrieren" (individuelle Ebene), und "Unser Gottesdienst zieht kirchendistanzierte Besucher an" (Gemeinschaftsebene). In diesem spezifischen Bereich hatte die Selbsteinstufung als "liberal" eine positive Korrelation zu den genannten Items. Mit anderen Worten, dies sind Eigenschaften, die in Gemeinden, die sich selbst als "liberal" einstufen, tendenziell besser entwickelt sind als in nicht-liberalen Gemeinden.

Die Selbsteinschätzung als "liberal" korreliert also sowohl mit negativen (Kategorien 1-3) als auch mit positiven Faktoren (Kategorie 4). Offensichtlich sind Gemeinden mit einer liberaleren Ausrichtung besser in der Lage, Barrieren gegenüber Außenstehenden abzubauen und einen Geist der Akzeptanz auszustrahlen, sowohl im Bereich ihrer Gottesdienste als auch in ihren Kleingruppen. Diese Erkenntnis ist äußerst relevant. Im Gegensatz zu den für den Fundamentalismusindex kennzeichnenden Faktoren, die ausschließlich auf negative Manifestationen verweisen, korreliert der Begriff "liberal" sowohl mit negativen (die Mehrheit der Items) als auch mit positiven Faktoren (die Minderheit der Items).

2. Die Qualität nicht-liberaler Gemeinden ist im Durchschnitt höher als in liberalen Gemeinden.

Bei der Anwendung des neu geschaffenen Quotienten für liberale Tendenzen (der sich, um es noch einmal zu betonen, von der bloßen Selbstkategorisierung "liberal" oder "nicht-liberal" unterscheidet) wurde deutlich, dass liberale Gemeinden insgesamt eine um durchschnittlich 7,01 Prozent geringere Qualität aufweisen als nicht-liberale Gemeinden. Während sie in einigen wenigen Bereichen (wie z.B. ihrer größeren Offenheit gegenüber Außenstehenden, wie oben beschrieben) im Durchschnitt eine höhere Qualität an den Tag legen als nicht-liberale Gemeinden, ist ihre Gesamtqualität deutlich geringer.

3. Liberale Gemeinden wachsen weniger wahrscheinlich als nicht-liberale Gemeinden.

Im Durchschnitt ist die Wachstumsrate der von uns untersuchten liberalen Gemeinden um 17,24 Prozent niedriger als die Wachstumsrate nicht-liberaler Gemeinden – sicherlich eine Auswirkung der insgesamt geringeren Qualität, wie in Punkt (2) beschrieben.

4. Der Gesamtwert für "liberale Tendenzen" reduziert sich als typisches Ergebnis eines NCD-Prozesses.

In 82 Prozent aller Fälle, in denen Gemeinden einen Quotienten von 57 oder höher für liberale Tendenzen haben, nimmt dieser Wert in einem Wiederholungsprofil ab (um durchschnittlich 7,64 Prozent). Diese Beobachtung ist analog zur Fundamentalismusforschung. NCD bringt mehr „Gesundheit“ in die Gemeinden, d.h. in die Köpfe und Herzen der Menschen, aus denen sich das zusammensetzt, was wir "Gemeinde" nennen. Da sich der Index für liberale Tendenzen in erster Linie auf negative Erscheinungsweisen bezieht, ist die Verringerung dieses Wertes eine positive Entwicklung. Wie bereits erwähnt, enthält der Wert für liberale Tendenzen aber gleichzeitig auch positive Elemente. Was kann in diesem Bereich beobachtet werden?

5. In liberalen Gemeinden wird ihre größte Stärke (Offenheit und Akzeptanz gegenüber Außenstehenden) durch einen NCD-Prozess noch weiter verstärkt.

Um diesen Bereich zu erkunden, haben wir innerhalb des Indexes, der liberale Tendenzen misst, zwischen den ersten drei Kategorien (in denen liberale Gemeinden typischerweise schwächer als nicht-liberale sind) und der vierten Kategorie (in der liberale Gemeinden typischerweise stärker sind) unterschieden. Die Ergebnisse werden in den beiden Kurven der Grafik angezeigt.

Dieses Diagramm zeigt für alle untersuchten liberalen Gemeinden Werte für "Vernachlässigung wichtiger geistlicher Faktoren" (die ersten drei untersuchten Kategorien, dargestellt durch die dunkelblaue Linie) und für "Klima der Offenheit und Akzeptanz" (vierte Kategorie, dargestellt durch die hellblaue Linie), zum Zeitpunkt des ersten Gemeindeprofils (linker Punkt) und zum Zeitpunkt eines Wiederholungsprofils (rechter Punkt). Beide Werte veränderten sich um 3,7 Punkte: Je geringer die Vernachlässigung wichtiger geistlicher Qualitäten, desto höher ist die Offenheit gegenüber Außenstehenden.

Viele gemeindliche Leiter befürchten, dass sie ihre eigentlichen Stärken verlieren könnten, wenn sie durch die Arbeit an ihren "Minimumfaktoren" die Qualität im Bereich ihrer Schwächen verbessern. Dem gegenüber zeigt die empirische Forschung, dass genau das Gegenteil zutrifft. Indem liberale Gemeinden ihre Schwächen angehen, werden sie in demjenigen Bereich, auf den Liberale zu Recht stolz sind (ihre Akzeptanz gegenüber Außenstehenden), noch stärker wachsen als zuvor.

6. Während in liberalen Gemeinden, die einen NCD-Prozess begonnen haben, die Offenheit für Außenstehende wächst, steigert sich gleichzeitig ihr "Bibel-/Evangelisations-Quotient".

Eines der signifikantesten Ergebnisse unserer Forschung zum Fundamentalismus war, dass fundamentalistische Gemeinden einerseits ihre fundamentalistischen Tendenzen aufgrund des NCD-Prozesses reduzieren, während andererseits ihre Hingabe an die Bibel und ihr Einsatz für Evangelisation zunimmt. Analoges gilt für liberale Gemeinden. Während sie gegenüber Außenstehenden noch offener werden, erhöht sich ihre Hingabe an Bibel und Evangelisation (von 48,3 Punkten auf 49,3 Punkte in einem Wiederholungsprofil). In 91,3 Prozent der Fälle, in denen der Quotient, der liberale Tendenzen darstellt, sinkt, nimmt der "Bibel-/Evangelisations-Index" zu. Im Blick auf NCD ist die Sorge, man würde die eigenen Stärken verlieren oder doch zumindest unterminieren, wenn man am eigenen Minimumfaktor arbeitet, nicht gerechtfertigt. Das genaue Gegenteil trifft zu. Die Behebung von Schwachstellen führt in der Regel dazu, dass man im Bereich seiner Stärken noch stärker wird.

Wäre es nicht hilfreich, wenn der theologische Diskurs zu Themen wie Fundamentalismus und Liberalismus von diesen empirisch überprüfbaren Erkenntnissen befruchtet würde, statt lediglich von persönlichen Meinungen und diffusen "Erfahrungen" genährt zu werden?

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