Amen-Interview mit Christian A. Schwarz:
"Rationale Grenzen überwinden"

In seiner jüngsten Ausgabe brachte das Magazin "Amen" (Schweiz) ein Interview mit Christian A. Schwarz zum Thema Mystik und mystischer Stil. Die veröffentlichte Version ist gegenüber dem Originalinterview naturgemäß stark gestrafft. Hier finden Sie die ausführliche Fassung des Gesprächs.

Amen: Weshalb braucht es den mystischen Zugang zu Gott überhaupt respektive was zeichnet ihn aus?

Schwarz: Es geht im Kern um Intimität mit Gott.

Das ist ja etwas, was durchaus für jeden Christen wichtig ist.

Ganz sicher. Aber für Menschen mit einem mystischen Stil ist es weitaus mehr. Es ist das Zentrum dessen, was für sie Glaube ausmacht. Es ist ihr Lebenselixier. Eine Beeinträchtigung dieser Intimität wäre für sie das Ende des christlichen Glaubens. Ein klassischer Calvinist, für den sich Glaube primär auf rationaler Ebene abspielt, ist da weit weniger empfindlich. Wir müssen dabei scharf unterscheiden zwischen Mystik als theologischer Position und Mystik als geistlichem Stil. Man kann einen mystischen Stil haben, ohne eine mystische Theologie zu vertreten – und umgekehrt.

Welche Bereicherung bringt mystische Spiritualität für den eigenen Glauben?

Es ist die Erkenntnis: Gott wohnt nicht nur im Himmel über der Erde, sondern auch in jedem Gläubigen.

Für welche Gruppen von Christen bietet sich eine Annäherung an diesen Stil besonders an und weshalb?

Erstens natürlich für die, die diesen Stil haben. Dieser Satz ist weitaus weniger trivial, als er zunächst erscheinen mag. Wenn wir Menschen dabei helfen, ihre geistlichen Stile ausfindig zu machen, dann ist der Regelfall, dass sie in der Vergangenheit ihren jeweiligen Stil niemals ausgelebt haben. Zweitens ist der mystische Stil besonders für diejenigen hilfreich, deren eigene Frömmigkeit weit von dieser Art der Spiritualität entfernt ist. Sie müssen keine Mystiker werden, wenn sie sich mit dem mystischen Stil beschäftigen. Aber der Umgang mit diesem Stil hilft ihnen, eigene Einseitigkeiten auszugleichen und eigene Gefahrenzonen zu erkennen.

Wie kann es gelingen, positive mystische Glaubenserfahrungen zu machen – und was ist dabei wichtig zu beachten?

Grundlage aller Bemühungen ist die Erkenntnis, dass jeder Christ und jede Christin einen individuellen geistlichen Stil hat. Wir sollten jedem Gemeindemitglied dabei helfen, seine persönliche Antenne zu Gott ausfindig zu machen. Dann wird man möglicherweise auf rund 10 Prozent der Gemeindemitglieder stoßen, die den mystischen Stil haben. Ihnen muss die Gelegenheit gegeben werden, ihn auch auszuleben, denn andernfalls werden sie nicht im Glauben wachsen. Nicht im Glauben zu wachsen ist aber der ideale Nährboden für Wildwuchs. Und diesen Wildwuchs gibt es in der Tat. Die Gefahr der Mystik ist dabei die Kehrseite ihrer Stärke. Das Interesse von Mystikern liegt im Subjektiven, in der Frage: Was geschieht in mir? Dieser Fokus bedeutet nicht notwendigerweise ein Desinteresse am Objektiven; man fragt vielmehr nach der Wirkung des Objektiven. Allerdings besteht die Gefährdung darin, dass in diesem Prozess das Objektive tatsächlich aus dem Blick gerät. Zugespitzt gesagt: Am Ende werden die eigenen Gefühle mit Gott verwechselt.

Menschen mit diesem Stil leben aus der Intimität mit Gott – sie wollen ihn erkennen und von ihm erkannt werden. Wie kann sich das bei diesen Menschen ganz konkret äußern?

Eine der großen Stärken des mystischen Stils ist die Wertschätzung des Geheimnisvollen. Das Nicht-Wissen erwächst eben nicht aus Ignoranz, sondern aus dem Wissen um die Grenzen des eigenen Wissens. Diese Frömmigkeit möchte nicht irrational sein, sondern transrational, mehr als rational. Großartig!

Und wie geht das zusammen mit jenen Aussagen in der Bibel, in denen sich dieser verborgene Gott uns auch immer wieder nähert und zeigt (z.B. Kol. 1,26)?

Wir sollten uns davor hüten, aus den Erfahrungen von Menschen, die einen mystischen Stil haben, eine ganze Theologie zu zimmern, außerhalb derer es dann womöglich keinerlei Platz mehr für etwas Anderes gibt. Das wäre genauso fatal wie der umgekehrte Versuch, mystische Tendenzen grundsätzlich skeptisch zu sehen oder zu unterdrücken. Mystiker sind einseitig, genauso wie Vertreter jedes anderen Stils einseitig sind. Es muss das Ziel sein, diese Einseitigkeiten zunehmend zu überwinden. Das geschieht am besten in Interaktion mit Menschen, die den genau gegenüberliegenden Stil haben.

Wie wichtig ist der mystische Stil – oder was ist sein Beitrag dazu –, dass wir Gott in seiner Gesamtheit als Schöpfer, Retter und Heiliger Geist wahrnehmen können?

Der mystische Still betont die innere Seite der Gotteserfahrung. Das sollte er auch tun, denn das ist eine unerlässliche Dimension. Aber es ist eben nicht das Ganze. Im Unterschied zum enthusiastischen Stil – wie er für charismatische Gruppen kennzeichnend ist – lebt der mystische Stil nicht so sehr von außerordentlichen Erlebnissen. Er drückt sich oft recht still aus und kann bisweilen überaus nüchtern sein. Im Unterschied zum enthusiastischen Stil wird z.B. eine "Trockenheit" in der Gebetspraxis nicht als "Abwesenheit des Heiligen Geistes" interpretiert. Vertreter des mystischen Stils fühlen sich auch dann Gott nah, wenn sie nicht gerade begeistert, erfüllt oder hingerissen sind.

Mystiker sehen in allen Menschen das Ebenbild Gottes. Was und wie können Personen aus anderen Stilen von dieser Wahrnehmung lernen?

Von allen geistlichen Stilen sind Menschen mit einem mystischen Stil diejenigen, die am wenigsten dazu neigen, Grenzen zu ziehen. Das hat etwas mit diesem Blick auf das Ebenbild Gottes in Anderen zu tun. Ich habe an dieser Stelle viel von meinem persönlichen Mentor für den mystischen Stil gelernt, dem dänischen Priester Ole Madsen. Er vermag in jedem Menschen – wirklich in jedem, ganz gleich wie esoterisch oder sündig oder häretisch dieser auch sein mag – das Ebenbild Gottes zu sehen. Dieses Ebenbild kann in manchen Menschen getrübt sein, vielleicht sogar bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Aber Oles Augen vermögen es zu erkennen. Und er möchte diesen Menschen helfen, das Ebenbild Gottes in ihnen zu der vom Schöpfer intendierten Schönheit zurückzuführen. Die Konzentration auf das Ebenbild Gottes im Anderen hat Oles Augen zu liebenden Augen gemacht. Ich muss kein Mystiker werden, wenn ich mir diesen Ansatz zu eigen mache.

Was können Mystiker tun, um nicht auf der anderen Seite vom Pferd zu fallen – sprich in der Jesus-Beziehung die Beziehung zur Realität zu verlieren – oder in anderen Worten übertrieben subjektiv zu werden und alles zu vergeistlichen?

Hier gilt wie für jeden anderen geistlichen Stil das Geheimnis, von den jeweiligen "Gegenstilen" zu lernen. Im Falle des mystischen Stils sind das der rechtgläubige und der bibelzentrierte Stil. Ich deutete bereits an, dass Mystiker nicht gerne Grenzen ziehen. Vertreter ihrer Gegenstile tun das aber sehr wohl – und sie tun es aus gutem Grund: Die Grenze zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen Leben und Tod, zwischen Licht und Finsternis. Wenn es keinen Irrtum gäbe, brauchte man über die Wahrheit gar nicht zu reden; wenn es keinen Tod gäbe, müsste man das Leben nicht eigens thematisieren; und nur auf dem Hintergrund von Finsternis kann man verstehen, was Licht bedeutet. Vertreter des rechtgläubigen und des bibelzentrierten Stils betonen das sehr stark – nicht, um Menschen auszuschließen, sondern um sie zu motivieren, den alles entscheidenden Schritt über diese Grenze hinweg zu wagen. Davon können Mystiker lernen – genauso wie die Vertreter der Gegenstile von Mystikern lernen können, die Grenzziehung nicht als ausschließendes Kriterium anzuwenden, sondern als Einladung, die Grenzen der eigenen Beschränktheit zu überwinden.

Weshalb fällt uns das zweckfreie Sein vor Gott so schwer? Wieso neigen wir dazu, den Glauben für uns selbst und unsere Absichten zu verzwecken?

Ihre Beobachtung ist richtig. Gerade im Westen – je westlicher, desto stärker – hat sich diese verzweckende Tendenz zunehmend durchgesetzt, ist bisweilen sogar zum Mainstream geworden, in jüngster Zeit erheblich durch handfeste Marketinginteressen befeuert. Der mystische Ansatz ist dazu ein hilfreicher Gegenpol. Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart hat dieses Anliegen in die folgenden drastischen Worte gefasst: "Manche Leute wollen Gott mit den Augen ansehen, mit denen sie eine Kuh ansehen und wollen Gott lieben, wie sie eine Kuh lieben. Die liebst du wegen der Milch und des Käses und deines eigenen Nutzens. So halten’s all jene Leute, die Gott um äußeren Reichtums oder inneren Trostes willen lieben; die aber lieben Gott nicht recht, sondern sie lieben ihren Eigennutz."

Wie haben Sie selbst sich dem Mystischen angenähert? Welche Veränderungen haben Sie in Ihrer eigenen Spiritualität im Zuge dieser Auseinandersetzung mit dem Mystischen wahrgenommen?

Bei mir ist das alles sehr untypisch abgelaufen. Ich habe mich im Kontext unseres Forschungsprojekts zu den neun geistlichen Stilen u.a. auch mit dem mystischen Stil beschäftigt. Aber zeitgleich eben auch mit den anderen acht Stilen – und in allen neun Bereichen nicht nur auf intellektueller Ebene, sondern wirklich existentiell. Ich habe mir dafür für jeden der neun Stile einen persönlichen Mentor gesucht, der nicht nur den jeweiligen Stil vertritt, sondern ihn auch radikal vertritt, sehr radikal sogar. Eine extreme, verwirrende und gleichzeitig überaus bereichernde Grenzerfahrung.

Welche Begegnungen mit Mystikern haben Sie dabei geprägt?

Einer der neun Mentoren, von denen ich sprach, war derjenige für den mystischen Stil, der bereits erwähnte Ole. Mir fielen die Interaktionen mit ihm zunächst nicht wirklich leicht, und auch heute noch habe ich mir nicht alle seine Positionen zu eigen gemacht. Aber ich habe ungeheuer viel von ihm gelernt. Ich bin durch diese Begegnungen nicht zum Mystiker geworden. Aber meine Beziehung zu Christus – und meine Fähigkeit, Christus mit anderen Menschen zu teilen – ist durch die Begegnungen mit Ole bereichert worden.

Was ist eigentlich Ihr eigener Stil?

Eigentlich habe ich nur wenig Neigung, überhaupt über diese Frage zu reden.

Warum?

Weil es mir in unserer Arbeit eben nicht um die Propagierung meines eigenen geistlichen Stils geht. Diese Praxis, den eigenen Stil als den wichtigsten – wenn nicht gar als den einzig möglichen – zu propagieren, ist in der Christenheit weit verbreitet. Das ist unreif, potenziell krankmachend und, wenn christliche Leiter das tun, absolut inakzeptabel. Deshalb habe ich mir zur Angewohnheit gemacht, dass ich dann, wenn ich über die neun geistlichen Stile öffentlich rede, über meinen eigenen Stil bewusst verhaltener und weitaus weniger enthusiastisch spreche als über die anderen. Aber wenn Sie mich schon fragen: Mein eigener geistlicher Stil ist der sakramentale Stil.

Das klingt vielleicht erst einmal etwas überraschend.

Mich hat es ja selbst überrascht. Jeder, der meine Bücher kennt, wird wissen, dass ich dezidiert nicht zum Sakramentalismus als theologischer Position neige. In gewisser Weise ist das mein theologisches Feindbild. Aber das, was kennzeichnend für den sakramentalen Stil ist, die Positionierung auf der Trennlinie zwischen geschöpflicher Realität (mit einer hohen Wertschätzung des Sinnlichen und Rationalen) und der Dimension des Heiligen Geistes (mit einer hohen Wertschätzung dessen, was über das empirisch Fassbare hinausgeht) ist meine geistliche Muttersprache.

Wie begegnen Sie mit Ihrem eigenen Stil heute mystisch veranlagten Menschen – egal ob es nun christliche Mystiker oder andere wie z.B. Esoteriker sind?

Auf zweierlei Art. Erstens mache ich ihnen – wenn sie Christen sind – Mut, ihren Stil auszuleben und sich dabei von niemandem ein schlechtes Gewissen machen zu lassen. Zweitens ermutige ich sie, von ihren jeweiligen Gegenstilen lernen. Wenn ich mit waschechten Esoterikern zu tun habe – also Menschen außerhalb der christlichen Sphäre – dann suche ich auch dort zunächst einmal das Gemeinsame. Wiederum habe ich an dieser Stelle viel von meinem Mentor Ole gelernt. Er erzählte mir, dass er früher, wenn er mit Menschen zu tun hatte, die z.B. an Reinkarnation glaubten, geltend machte, er müsse die Seelsorge abbrechen, solange sie nicht von diesem Irrglauben Abstand nähmen. Heute hat Ole eine andere Position. Er erzählte mir von einer Frau, die von ihren "Erfahrungen in vorausgegangenen Leben" berichtete. In einem ihrer früheren Leben sei sie Teil einer Gruppe um Jesus gewesen, in der sie Zeuge seiner Kreuzigung, aber nicht seiner Auferstehung wurde. Ole sagte mir, dass er mit einem Menschen wie dieser Frau heute nicht mehr über Reinkarnation debattiere. Vielmehr sagte er ihr, dass das, was in ihrer gespeicherten Erinnerung fehle, eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus sei. Er bot ihr an: "Ich kann dafür beten, dass Jesus sich in deiner Erinnerung als der Auferstandene und Lebendige offenbart." Zwei Monate später kam die Frau erneut zu ihm. Sie sagte: "Nun bin ich bereit, bete bitte mit mir, dass ich Christus in einem demütigen Herzen empfange." Zunehmend wuchs die Gegenwart Christi in dieser Frau, und ihre ganzen Reinkarnations-Bilder verschwanden allmählich. In dem, was Ole hier beschreibt, sehe ich auch für mich Prinzipien, die ich anwenden möchte.

Der Theologe Karl Rahner war überzeugt: "Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein." Inwiefern trifft diese Aussage mit den Erkenntnissen aus Ihrer NCD-Arbeit zusammen?

Rahner meint hier natürlich nicht den mystischen Stil. Er hebt vielmehr darauf ab, dass die westliche Kirche als Ganze den Bereich, der allgemein als Mystik bezeichnet wird, zunehmend vernachlässigt hat, wodurch eine gefährliche Einseitigkeit entstanden ist und ein noch gefährlicheres Vakuum. Diese Entwicklung gilt es zu korrigieren.

Weshalb ist das so – oder muss das sogar so sein?

Weil es hier um das Wesen des christlichen Glaubens geht. Wie gesagt, jetzt reden wir nicht mehr über den mystischen Stil. Sondern über die persönliche Begegnung mit Christus im Heiligen Geist. Nicht als Denkkategorie, sondern als erlebte Erfahrung. Und nicht nur als erlebte Erfahrung an wenigen sonntäglichen Stunden der Woche, sondern buchstäblich als 24/7-Erfahrung.

Welchen Gewinn hätten die Gemeinden von einem befruchtenden Umgang mit mystischen Elementen?

Erstens würden diese Gemeinden Christen mit einem mystischen Stil nicht mehr abstoßen bzw. in die innere Emigration vertreiben, sondern ihnen die Möglichkeit geben, gesundes geistliches Wachstum zu erleben. Zweitens würden alle anderen Gemeindemitglieder von der Interaktion mit diesen Christen – auf der Grundlage eines gesunden Paradigmas mit klaren Spielregeln – ungeheuer profitieren. Und dritten würden diese Gemeinden attraktiv für Menschen, die zwar noch keine Christen sind, aber gleichwohl eine ausgesprochen mystische Ader haben.

Warum tun sich gerade freikirchliche Gemeinden mit dem mystischen Zugang oft schwer?

Das ist kirchengeschichtlich leicht zu erklären. Evangelikale Gemeinden entstammen einer Tradition, in der in mindestens drei historischen Situationen zwar fragwürdige theologische Erscheinungen korrigiert wurden – Gott sei Dank! –, in denen man sich aber gleichzeitig der positiven Elemente von Mystik gleichsam mit entledigt hat. Die erste dieser Korrekturen war die Teilung zwischen Ost- und Westkirche, die mit dem Jahr 1054 in Verbindung gebracht wird. In der Ostkirche war – und ist bis heute – die Mystik keine Randerscheinung, sondern integrierter Bestandteil des Mainline-Christentums. Innerhalb des Katholizismus wurde Mystik dann zu einer geduldeten Subkultur. Die Reformation verstärkte diese Tendenz noch. Die Reformatoren korrigierten nicht nur fragwürdige Tendenzen, sondern neigten dazu, auch berechtigten mystischen Anliegen den Garaus zu machen. Die dialektische Theologie Anfang des letzten Jahrhunderts setze dem Ganzen noch eins drauf. Zwar wandte man sich zu Recht gegen das, was als "natürliche Theologie" bezeichnet wurde, sah aber diese natürliche Theologie selbst dort, wo es sich um urgesundes Christentum handelt. Berühmt geworden ist ja Karl Barths Schrift "Nein!" mit seiner Antwort an Emil Brunner. Was Barth in dieser Schrift geltend macht, ist ja gar nicht verkehrt – nur traf es Brunners Position in keiner Weise. Was niemand weiß, weil Barth nie öffentlich darüber gesprochen hat, ist, dass er kurz vor seinem Tod in einem Gespräch mit einem engen Freund zwei Dinge bereute: Die Beziehung zu einer Freundin und sein "Nein!" gegen Brunner. Für manche barthianische Protestanten ist indessen die Nein-Schrift immer noch so etwas wie ein Anhang zur Bibel. Salopp gesagt: Da hat man ein bisschen die Zeit verschlafen. Der große Barth war korrekturfähiger.

Wie können Gemeinden dem Mystischen auf gesunde Weise Raum geben?

Indem man das Thema ganzheitlich angeht. Erstens: Es geht nicht nur um den mystischen Stil, sondern um neun verschiedene Stile, die alle zusammen erst das Ganze abdecken: sinnlicher rationaler, rechtgläubiger, bibelzentrierter, missionarischer, asketischer, enthusiastischer, mystischer und sakramentaler Stil. Jede Ausdrucksweise christlicher Spiritualität hat eine Nähe zu einem der genannten Stile. Zweitens: Jeder Christ und jede Christin hat zumindest einen dieser Stile und muss ermutigt werden, diesen auch zu praktizieren. Er bzw. sie muss lernen, dass jeder Stil spezifische Stärken als auch Schwächen hat. Und drittens: Jeder sollte angeleitet werden, mit Vertretern der jeweiligen "Gegenstile" in Interaktion zu treten. Wenn dies so umfassend geschieht, dann muss man sich keine Sorgen machen, dass die "Betonung des Mystischen" zu fragwürdigen Einseitigkeiten führen würde.

Egal, welcher Stil von Spiritualität bei einem selbst besonders ausgeprägt ist: Wie kann man die Wohlfühlzone des eigenen Stils überwinden und zu einer breiteren, vollständigeren Gotteswahrnehmung gelangen?

Grundvoraussetzung für alles ist zunächst einmal, seinen eigenen geistlichen Stil zu kennen. Ohne diese Grundlage bleibt alles nur abstraktes theologisches Geschwurbel. Auf der Grundlage von Sicherheit in seinem eigenen Stil fällt es dann auch nicht mehr so furchtbar schwer, mit Gegenstilen, die naturgemäß außerhalb der eigenen Wohlfühlzone liegen, in Prozesse des gegenseitigen Lernens einzutreten.

Wie können wir mystische Glaubenselemente konkret in unseren Alltag integrieren und sie dazu nutzen, uns Gott nahe zu wissen und uns von ihm leiten zu lassen (1. Joh. 4,16)?

Der genannte Vers ist tatsächlich der Schlüssel: "Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm." Wow, das klingt ja richtig mystisch! Wenn es nicht in der Bibel stünde, hätte man so einen Satz vermutlich in der Linie "Großes Schisma von 1054" – "Reformation" – "Dialektische Theologie" längst ausgeschieden. Wir sind in Gott, und Gott ist in uns. Wir tun gut daran, davon auszugehen, dass diese Worte wörtlich gemeint sind. Und alles das ist eingebettet in die Dimension der Liebe, die hier mit Gott gleichgesetzt wird. Auch das noch! Sola scriptura kann bisweilen wirklich anstrengend sein! Menschen, die nicht zum mystischen Stil neigen, betonen sehr stark die objektive Dimension des christlichen Glaubens und machen geltend, dass Glauben nicht verwechselt werden darf mit unseren wechselnden Gefühlen und Stimmungen. Das ist zwar richtig und sogar unaufgebbar, kann aber auch dazu führen, dass die Innerlichkeit des Menschen vernachlässigt wird. Der ausschließliche Fokus auf Gottes Reden durch die Heilige Schrift kann zur Konsequenz haben, dass wir Gottes Stimme in uns selbst gar nicht mehr wahrnehmen. Wer sich dem mystischen Stil von einem der gegenüberliegenden Stile aus nähert – z.B. rechtgläubiger oder bibelzentrierter Stil –, hat im Grunde einen optimalen Ausgangspunkt. Der eigene Stil ist bereits von klaren, objektive Maßstäbe geprägt. Auf dieser Grundlage besteht nun wirklich nicht die Gefahr, bei der Interaktion mit dem mystischen Stil in der Subjektivität einer mystischen Einheitserfahrung gleichsam zu versinken. Vielmehr kann die Beschäftigung mit dem mystischen Stil helfen, mögliche Einseitigkeiten des eigenen Stils zu korrigieren, mit anderen Worten: ein besserer Vertreter z.B. des rechtgläubigen bzw. bibelzentrierten Stils zu werden.

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