Neue Studie: NCD lässt Fundamentalismus schrumpfen

Christian A. Schwarz

Wer Diskussionen über Fundamentalismus in den Medien verfolgt oder das Thema mit Verteidigern oder Kritikern des Christentums diskutiert, stößt kontinuierlich auf Hypothesen, von denen die meisten Menschen überzeugt sind, dass sie die Realität abbilden:

1. Ob es ausdrücklich so ausgesprochen wird oder nicht, Fundamentalismus scheint als ein Phänomen betrachtet zu werden, das in positivem Zusammenhang mit Gemeindewachstum steht. Selbst diejenigen, die dem Fundamentalismus ablehnend gegenüberstehen (was die überwältigende Mehrheit ist) räumen doch ein, dass fundamentalistische Gemeinden wahrscheinlicher wachsen als nicht-fundamentalistische. Manche Medienberichte erwecken geradezu den Anschein, als gäbe es eine Korrelation zwischen Fundamentalismus und zahlenmäßigem Wachstum: Je fundamentalistischer eine Gemeinde ist, desto wahrscheinlicher wird sie wachsen – und umgekehrt.

2. Es wird als schwierig, wenn nicht gar als unmöglich betrachtet, Fundamentalismus zu "heilen". In fundamentalistischer Weltsicht wird der Fundamentalismus naturgemäß nicht als Problem gesehen, das einer Therapie bedarf. Da aber Problemeinsicht Vorbedingung jeder Therapie ist – in der Medizin wird der Begriff "Krankheitseinsicht" verwendet –, lässt sich ohne diese Voraussetzung nur schwer eine heilende Maßnahme einleiten. Deshalb beschränken sich manche wohlmeinenden Christen, die dem Fundamentalismus kritisch gegenüberstehen, darauf, sich von ihm abzugrenzen bzw. vor ihm zu warnen. Sie merken dabei gar nicht, dass sie gerade mit dieser Reaktion in der Gefahr stehen, die fundamentalistische Weltsicht ihrer Gesprächspartner, die tief von binärem Denken und bisweilen auch von einer gewissen Opferrolle geprägt ist, nur noch zu verstärken.

3. Man scheint implizit davon auszugehen, dass es einen Zusammenhang zwischen Fundamentalismus und geistlicher Leidenschaft gebe, was umgekehrt natürlich bedeutet, dass mit nachlassendem Fundamentalismus auch die geistliche Leidenschaft sinkt. Eine Verringerung fundamentalistischer Tendenzen wird insbesondere mit einer verringerten Hingabe an die Bibel und an Evangelisation in Verbindung gebracht ("Bei Fundamentalisten lässt sich zwar vieles kritisieren, aber in ihrer Haltung zur Bibel und zum Missionsbefehl sind sie stark"). Nominalismus und Fundamentalismus werden dabei unausgesprochen als die zwei Enden eines Kontinuums betrachtet. Je weiter wir uns von dem einen Ende entfernen, desto näher kommen wir unausweichlich dem anderen Ende. Es erscheint dann geradezu so, als sei nominelles Christentum – oder doch zumindest: leidenschaftsloses Christentum – die ultimative Alternative zum Fundamentalismus.

Aber treffen diese Vermutungen auch zu? Es ist erstaunlich, dass in den meisten Diskussionen über dieses Thema kaum jemand nach belastbaren empirischen Daten fragt. Bloße Gefühle, subjektive Meinungen und nicht weiter verifizierbare "Erfahrungen" machen diese Form von Diskussionen in aller Regel wenig fruchtbar. Der erkennbare Fortschritt ist gering. So gleichen die heute geführten Debatten in erschreckendem Maße denen, die zehn Jahre zuvor geführt wurden, und ängstlich fragt man sich: Werden es in zehn Jahren immer noch die gleichen Debatten sein?

Fundamentalismus in empirischer Perspektive

Da ich in den letzten Monaten im Zusammenhang mit einem Buchprojekt verschiedene Auffassungen zum Fundamentalismus zu untersuchten hatte, entschloss ich mich, die Daten von Gemeinden, die wir in den letzten zwanzig Jahren in der Arbeit an der natürlichen Gemeindeentwicklung (NCD) gesammelt haben, heranzuziehen. Könnten sie möglicherweise dabei helfen, Licht in die Diskussion bringen? Und tatsächlich, nachdem die Forschung vor einigen Tagen abgeschlossen werden konnte, lässt sich sagen: Die empirische Wirklichkeit ist in weiten Teilen das genaue Gegenteil dessen, was die meisten Menschen wohl vermutet hätten.

Wie konnten wir das Thema Fundamentalismus mit Hilfe unserer NCD-Daten angehen? Unsere Datenbasis ist zwar ziemlich groß, repräsentiert sie doch 70.000 Gemeinden aus allen Teilen der Welt, die zumindest ein Gemeindeprofil erhoben haben, und viele haben mehrere Wiederholungsprofile durchgeführt. Das ermöglicht es uns, langfristige Entwicklungen zu verfolgen und auszuwerten. Allerdings wurde das Gemeindeprofil nicht als ein Instrument entwickelt, fundamentalistische Tendenzen zu messen. Könnte es dennoch einen Weg geben, es zu diesem Zweck zu gebrauchen?

Wir sind die Frage in den folgenden fünf Schritten angegangen:

Schritt 1: Auswahl geeigneter Items

Zunächst versuchten wir, auf der Grundlage der Fragen ("Items"), die dem Gemeindeprofil zugrunde liegen, einen Index zu entwickeln, den wir intern "Fundamentalismus-Index" nannten. Bei empirischen Fragestellungen dieser Art besteht eine der größten Herausforderungen darin, zirkuläres Denken zu vermeiden oder doch auf ein Minimum zu reduzieren. Zirkuläres Denken würde im Blick auf unser Thema bedeuten: Wir definieren vorweg, was Fundamentalismus ist, entwickeln daraufhin ein Testwerkzeug, das genau das misst, was wir definiert haben, und am Ende nehmen wir die Tatsache, dass Gemeinden, die den von uns aufgestellten Fundamentalismus-Kriterien entsprechen, auch fundamentalistisch "sind" (der Test hat es ja gezeigt!), als Beweis unserer ursprünglichen Annahme – ein klassischer logischer Zirkelschluss.

Um diese Gefahr zu bannen, war es wichtig, nicht selber Items zu formulieren (bzw. aus den vorhandenen auszuwählen), die wir als Indikatoren für Fundamentalismus ansehen. Wir bemühten uns darum, uns schon bei der Item-Auswahl von empirischen Kriterien leiten zu lassen. Dieser Prozess begann damit, dass wir zwei Kategorien von Gemeinden unterschieden:

1. Gemeinden, in denen der Pastor bzw. die Pastorin unter verschiedenen Adjektiven, die die gemeindliche Theologie beschreiben sollen, das Wort "fundamentalistisch" angekreuzt hat.

2. Gemeinden, in denen dieses Stichwort nicht angekreuzt wurde.

Dabei muss betont werden, dass dieses Verfahren wohlgemerkt nicht darauf abzielte, fundamentalistische von nicht-fundamentalistischen Gemeinden zu unterscheiden. Ein solches Verfahren wäre etwa das Gleiche, als wollten wir die Gesundheit einer Gemeinde diagnostizieren, indem wir den Mitgliedern die Frage vorlegten: "Wie gesund ist Ihre Gemeinde auf einer Skala zwischen 1 und 10"? Man kann solche Verfahren zwar anwenden – und sie werden sehr viel häufiger angewandt, als man glauben möchte –, aber aus ihnen lässt sich so gut wie nichts lernen. Hier werden eigene Lieblingsideen, zirkuläres Denken und "self-fulfilling prophecies" in atemberaubender Weise vermischt, während man sich bemühen mag, dieses Gemisch in der objektivierenden Sprache statistischer Wissenschaft zu präsentieren.

In unserem Fall diente die Segmentierung verschiedener Gemeindekategorien aufgrund ihrer Selbstbeschreibung nicht dazu, Fundamentalismus als empirisch nachweisbares Phänomen festzustellen – dies geschah erst in einem späteren Schritt auf Grundlage des erst noch zu erstellenden Fundamentalismus-Index. Es war vielmehr ein vorbereitender Schritt, um genau diesen Fundamentalismus-Index zu entwickeln. Das Verfahren sollte ausschließlich dazu dienen, zu diesem Zweck die geeignetsten Items auszuwählen, anstatt lediglich zu raten oder aus der eigenen Lieblingstheologie abzuleiten, welche Items möglicherweise die größte Nähe zum Fundamentalismus haben.

Schritt 2: Entwicklung eines "Fundamentalismus-Index"

Als wir die beiden oben genannten Gemeindekategorien miteinander verglichen, machten wir zwölf Items ausfindig, bei denen sich die Gemeinden in den beiden Kategorien am stärksten voneinander unterschieden. Wir gruppierten diese Items in sechs Kategorien (zwei Items je Kategorie). Da Gemeinden, die sich selbst als "fundamentalistisch" beschreiben, im Durchschnitt bei jedem der zwölf Items geringe Werte haben (d.h. sie praktizieren im Durchschnitt die gegenteiligen Tendenzen dessen, was die jeweiligen Items messen), besteht der Fundamentalismus-Index aus niedrigen Werten in den folgenden sechs Bereichen:

1. Teamentwicklung
2. Bevollmächtigung der Mitglieder
3. Interesse an persönlichen Problemen der Menschen
4. Freudige Atmosphäre
5. Neugierde, persönlich zu wachsen
6. Multiplikationsstruktur

Wenn man nun in jedem der sechs Bereiche nach den gegenteiligen Formulierungen sucht, erhält man eine Beschreibung von Tendenzen, die eine größere Nähe zu fundamentalistischen als zu nicht-fundamentalistischen Gemeinden haben:

1. Guru-Mentalität im Blick auf Leitung
2. Hohe Anforderungen, aber wenig persönliche Unterstützung
3. Fokus der Mitarbeiterbetreuung allein auf das Engagement
4. Gesetzliches Klima
5. Statische Denkstruktur
6. Konzentration auf die eigene "Reinheit" (purity)

Schritt 3: Vergleich von fundamentalistischen und nicht-fundamentalistischen Gemeinden

Auf der Grundlage dieses Fundamentalismus-Index (also nicht aufgrund der in Schritt 1 erwähnten Selbstbeschreibung), unterschieden wir nun zwischen "fundamentalistischen" und "nicht-fundamentalistischen" Gemeinden. Wir nannten in unserer internen Sprachregelung Gemeinden mit einem Fundamentalismus-Index von 57 und höher "fundamentalistisch" und solche mit einem Fundamentalismus-Index von 37 und niedriger "nicht-fundamentalistisch". Diese Gegenüberstellung von zwei Extremgruppen sollte dabei helfen, auf Muster aufmerksam zu werden, die möglicherweise praxisrelevant sein könnten. Bei einigen Gemeinden war diese Einordnung aufgrund des Fundamentalismus-Index identisch mit ihrer in Schritt 1 genannten Selbstbeschreibung, bei der Mehrzahl dagegen nicht. Neben vielem anderen, was sich durch Beobachtung dieser beiden Extremgruppen lernen lässt, waren die beidem wichtigsten Unterschiede die folgenden:

1. Die durchschnittliche gemeindliche Qualität der fundamentalistischen Gemeinden lag bei 44,3, die der nicht-fundamentalistischen bei 60,5.

2. Während 59,1 Prozent der nicht-fundamentalistischen Gemeinden, die ein Gemeindeprofil erhoben haben, zahlenmäßiges Wachstum erleben, trifft dies auf nur 4,9% der fundamentalistischen Gemeinden zu.

Wenn wir diese Zahlen interpretieren, dürfen wir natürlich nicht vergessen, dass wir hier – auch wenn die Daten aufgrund einer ungewöhnlich großen Zahl von Gemeinden erhoben sind – ausschließlich über solche Gemeinden reden, die einen NCD-Prozess gestartet haben, wenn auch in unterschiedlicher Intensität bzw. Konsequenz. Wir sprechen hier also nicht über Durchschnittswerte der weltweiten Christenheit, sondern über Durchschnitte von Gemeinden in der weltweiten Christenheit, die ein oder mehrere NCD-Gemeindeprofile erhoben haben. Mit anderen Worten, während die Aussage, dass "59,1% der nicht-fundamentalistischen Gemeinden wachsen", auf Gemeinden, die in einem NCD-Prozess stehen, zutrifft, trifft diese Aussage aller Wahrscheinlichkeit nicht auf Gemeinden außerhalb eines solchen Prozesses zu. Es kann vermutet werden, dass dort der genannte Prozentsatz deutlich geringer ist, da die Entscheidung, sich auf einen NCD-Prozess einzulassen, bereits ein gewisser Indikator für die "Qualität" der entsprechenden Gemeinden ist:

• Sie haben ein Problembewusstsein gegenüber ihrem eigenen status quo

• Sie sind bereit, die weniger angenehmen Bereiche in den Blick zu nehmen und anzugehen ("Minimumfaktor")

• Sie sehen strategische Arbeit an der Gemeindeentwicklung nicht als etwas Ungeistliches an

• Sie sind bereit, aktiv in eine bessere Zukunft zu investieren

Natürlich stehen diese Faktoren – sowohl bei fundamentalistischen als auch bei nicht-fundamentalistischen Gemeinden – in starkem Zusammenhang mit dem, was in diesen Gemeinden empirisch als Qualität gemessen werden kann. Insofern sind die Daten von Gemeinden, die in einem NCD-Prozess stehen, zwar repräsentativ (nämlich für Gemeinden in dem genannten Veränderungsprozess), aber nicht notwendigerweise für die gesamte Christenheit.

Schritt 4: Beobachtung der langfristigen Entwicklung fundamentalistischer Tendenzen

Noch wichtiger als der Vergleich von Momentaufnahmen im Blick auf fundamentalistische und nicht-fundamentalistische Gemeinden ist der Vergleich ihrer langfristigen Entwicklung ("development over time"). Dabei muss beachtet werden, dass in diesem Zusammenhang der Begriff "over time" sich nicht darauf bezieht, dass man schlicht die Zeit verstreichen lässt, sondern in aller Regel diese Zeit dafür nutzt, aktiv Maßnahmen zu ergreifen, um die gemeindliche Qualität zu steigern.

Insbesondere sind es zwei Ergebnisse, die mir signifikant erscheinen:

1. Der Fundamentalismus-Index aller untersuchten Gemeinden – also unabhängig vom Ausgangspunkt – sank zwischen dem Erstprofil und einem Wiederholungsprofil um durchschnittlich 7,2 Prozent.

2. In 67,5 Prozent aller untersuchten Gemeinden kam es zu einer Reduzierung des Fundamentalismus-Index zwischen Erst- und Wiederholungsprofil.

Mit anderen Worten, es lässt sich zeigen, dass der NCD-Prozess ein ausgesprochen wirksames Mittel ist, eigene fundamentalistische Tendenzen zu reduzieren. Das Verfahren funktioniert tatsächlich derartig verblüffend gut, dass man sich fragt, wie der Mythos der "Untherapierbarkeit von Fundamentalismus" entstehen konnte.

Schritt 5: Untersuchung des Einflusses auf die Hingabe an die Bibel und an Evangelisation

Falls die dritte der zu Beginn dieses Artikels genannten Annahmen stimmen sollte – nämlich dass das Gegenteil von Fundamentalismus Nominalismus sei, gegenzeichnet von sinkendem Engagement und nachlassender Leidenschaft –, dann könnte ein Vertreter des Fundamentalismus die bisherigen Beobachtungen folgendermaßen kommentieren: "Kein Wunder, dass Gemeinden, die NCD betreiben, einen sinkenden Fundamentalismus-Index haben. Das ist Ausdruck einer Bewegung weg von Engagement und hin zu Teilnahmslosigkeit, weg von Hingabe an Christus und hin zu Leidenschaftslosigkeit. Ziemlich sicher haben diese Gemeinden in ihrer Hingabe an die Bibel und an den Missionsbefehl Schaden genommen. Da dies für uns zentrale Werte sind, haben wir kein Interesse an angeblicher 'Gesundheit', die die Haltung zur Bibel und zur Evangelisation auf dem Altar des Zeitgeistes opfert."

Die Fragestellung, die hinter dieser Reaktion steht, ist in der Tat von Bedeutung. Könnte der sinkende Fundamentalismus-Index nicht tatsächlich Anzeichen dafür sein, dass in diesen Gemeinden Bibel und Missionsbefehl weniger ernst genommen werden? Gewiss wäre es denkbar, sich aller fragwürdigen fundamentalistischen Tendenzen dadurch zu entledigen, dass wir die Kernsubstanz des Christentums herunterfahren. Wenn wir diesen Weg beschreiten, dann erscheint "nominelles Christentum" tatsächlich als ein geeignetes Rezept gegen Fundamentalismus. Aber als "Nebenwirkung", um es einmal so zu nennen, würde dieses Verfahren nicht nur dem Fundamentalismus, sondern dem Christentum selbst den Garaus machen. Könnte es sein, dass NCD tatsächlich zu dieser Tendenz beiträgt?

Um Licht in diese Frage zu bekommen, haben wir einen Quotienten entwickelt, den wir intern als "Bibel/Evangelisations-Index" bezeichnen. Er besteht aus vier Items des Gemeindeprofils, wobei sich zwei auf die Bibel und zwei auf Evangelisation beziehen:

Bibel:

- Item 1: "Die Bibel ist in meinen täglichen Entscheidungen eine wichtige Richtschnur" (auf Englisch: "a powerful guide").

- Item 2: "Ich lese persönlich gerne die Bibel" (auf Englisch: "enjoy").

Evangelisation:

- Item 1: "Unseren Leitern liegt es am Herzen, Menschen, die Jesus Christus noch nicht kennen, zu erreichen" (auf Englisch: "are clearly concerned for people").

- Item 2: "Ich bete für meine Freunde, Kollegen und Verwandten, die Christus noch nicht kennen, dass sie zum Glauben kommen" (auf Englisch: "who do not yet know Jesus Christ").

Wenn wir nun den Bibel/Evangelisations-Index mit dem Fundamentalismus-Index vergleichen, lässt sich die Kernaussage im folgenden Satz zusammenfassen: In dem Maße, wie der Fundamentalismus-Index sinkt, steigt der Bibel/Evangelisations-Index (siehe Grafik).

Das Diagramm zeigt den Fundamentalismus-Index (dunkelblau) und den Bibel/Evangelisations-Index (hellblau) aller untersuchten Gemeinden zur Zeit des ersten NCD-Gemeindeprofils (linker Punkt) und zur Zeit eines Wiederholungsprofils (rechter Punkt). Während sich der Fundamentalismus-Index um 6,8 Punkte verringerte, stieg im gleichen Zeitfenster der Bibel/Evangelisations-Index um 4,6 Punkte.

In 87,8% aller Gemeinden, in denen der Fundamentalismus-Index zwischen zwei Gemeindeprofilen sank, stieg gleichzeitig der Bibel/Evangelisations-Index. Wenn wir diese statistische Beobachtung in unsere Alltagssprache übersetzen, bedeutet dies: Je geringer die fundamentalistischen Tendenzen werden, desto ernster nehmen die Christen ihr eigenes Bibelstudium und ihre Verantwortung für Menschen, die Christus noch nicht kennen. Erneut muss betont werden, dass diese Gesetzmäßigkeiten für Gemeinden gelten, die Teil eines NCD-Prozesses sind. In welchem Maße das Gleiche auch außerhalb dieses Kontextes gilt, wissen wir nicht. Wir sollten auch zurückhaltend sein, diese Beobachtungen so zu deuten, als sei der sinkende Fundamentalismus-Index die Ursache für den wachsenden Bibel/Evangelisations-Index, oder als sei der wachsende Bibel-Evangelisations-Index die Ursache für den sinkenden Fundamentalismus-Index (obwohl derartige Zusammenhänge theoretisch durchaus bestehen können). Es erscheint allerdings realistischer, die Veränderungen in beiden Werten als Ergebnis der Arbeit an der Gesamtqualität der Gemeinde – einschließlich der Bereitschaft, die eigene Effektivität in diesem Bemühen zu messen – zu interpretieren. Was wir auf jeden Fall festhalten können, ist, dass innerhalb des NCD-Prozesses ein sinkender Fundamentalismus-Index und steigender Bibel/Evangelisations-Index miteinander korrelieren.

Schlussfolgerungen

Wenn war nun auf unsere drei anfänglich genannten Vermutungen zurückkommen, sehen wir, dass in jedem der drei Bereiche die empirisch nachweisbare Realität das genaue Gegenteil dessen darstellt, was die meisten Menschen vermutet hätten. Schauen wir uns die drei Vermutungen noch einmal an, diesmal im Lichte empirischer Daten:

1. Ist Fundamentalismus ein Schlüssel zum Gemeindewachstum? Genau das Gegenteil trifft zu. Je höher der Fundamentalismus-Index einer Gemeinde, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie wächst. Die Vermutung, Fundamentalismus trüge zum Gemeindewachstum bei, ist ein bloßer Mythos. Er speist sich aus oberflächlichen Beobachtungen, die die messbare Qualität von Gemeinden völlig außer acht lassen und nicht verstehen, dass Nominalismus die ultimative Beschreibung geringer gemeindlicher Qualität ist. Hohe gemeindliche Qualität dagegen bedeutet im Kern leidenschaftlich gelebte Hingabe an Christus, die relativ arm an fundamentalistischen Untertönen ist.

2. Ist es möglich, Fundamentalismus zu heilen? Die Antwort ist ein eindeutiges Ja. Gemeinden, die einen NCD-Prozess gestartet haben, legen tagtäglich von dieser Tatsache Zeugnis ab. Je mehr die Qualität einer Gemeinde steigt, desto mehr sinkt der Fundamentalismus-Index. Die Vermutung, Fundamentalismus lasse sich nicht heilen, ist ein bloßer Mythos. Diese Vorstellung speist sich daraus, dass man reale Veränderungsprozesse (wie den NCD-Prozess) im Blick auf die empirisch verifizierbaren Auswirkungen nicht berücksichtigt hat. Vielleicht hat man schlicht ein paar Gespräche mit fundamentalistischen Hardlinern vor Augen, die – aus nachvollziehbaren Gründen – wenig fruchtbar verliefen. Fundamentalismus lässt sich sogar äußerst effektiv heilen, indem man sich auf einen Prozess einlässt, der die Gesundheit ("Qualität") in der Gemeinde steigert und damit die Gesundheit in den Köpfen, Händen und Herzen der Menschen. Mehr als zwei Drittel aller Gemeinden, die zwei oder mehr Gemeindeprofile erhoben haben, haben genau das erlebt. Der beste Weg zur Gesundheit besteht nicht darin, Krankheiten zu diagnostizieren und zu heilen, sondern darin, das Gesundheitsbewusstsein zu steigern und Menschen auf dem Weg zu mehr Gesundheit zu unterstützen.

3. Wirken sich sinkende fundamentalistische Tendenzen negativ auf die Hingabe an die Bibel und an Evangelistion aus? Das Gegenteil ist richtig. Je stärker der Fundamentalismus-Index sinkt, desto mehr steigt der Bibel/Evangelisations-Index. Die Vermutung, Fundamentalisten seien, im Vergleich zu nicht-fundamentalistischen Gemeinden, im Blick auf ihre Hingabe an Bibel und Evangelisation stärker, ist ein bloßer Mythos. Er erwächst daraus, dass dogmatische Aussagen über Bibel und Missionsbefehl mit der tatsächlichen Liebe zur Bibel und zu den zu erreichenden Menschen verwechselt werden, und auch dadurch, dass man Gemeinden mit einem hohen Anteil von Nominalismus für eine typische Beschreibung nicht-fundamentalistischer Gemeinden hält. Die Skala "fundamentalistisch/nicht-fundamentalistisch" hat aber mit der Skala "leidenschaftlich/nominell" nicht viel zu tun. Viel hilfreicher ist es, die beiden Skalen in einem Koordinatensystem als x- und y-Achsen gegenüberzustellen, um somit z.B. die Kategorie eines leidenschaftlich/nicht-fundamentalistischen Christentums von der Kategorie eines nominellen/nicht-fundamentalistischen Christentums zu unterscheiden (siehe Graphik).

Fundamentalismus darf nicht als das Gegenteil von "leidenschaftlich" verstanden werden. Es handelt sich vielmehr um zwei unterschiedliche Skalen, die hier als x- und y-Achse dargestellt werden. Leidenschaftliche Formen nicht-fundamentalistischer Frömmigkeit, wie sie als Frucht des NCD-Prozesses studiert werden können (Quadrant A), dürfen nicht mit nicht-fundamentalistischen Erscheinungsformen verwechselt werden, die vom Nominalismus geprägt sind (Quadrant C). Studien, die diese Unterscheidung nicht machen, führen notwendigerweise zu irreführenden und z.T. kontraproduktiven Schlussfolgerungen.

Ein wichtiger Nutzen des von uns zunächst rein intern verwendeten Fundamentalismus-Index besteht darin, dass er es uns ermöglicht, Fundamentalismus in Zukunft nicht mehr als Label für eine bestimmte Gruppe zu verwenden, sondern als eine phänomenologische Größe, die – in unterschiedlichem Grad – auf alle Gemeinden zutrifft. Wir sehen dann Fundamentalismus nicht mehr als Beschreibung bestimmter Menschen, die sie in ihrer Gesamtheit charakterisiert, während dem gegenüber die Nicht-Fundamentalisten vor diesen Gefahren gefeit sind. Auch wenn ich in diesem Artikel z.T. mit vergleichbaren Gegenüberstellungen gearbeitet habe – um einerseits die einzelnen Schritte des Forschungsprojekts zu beschreiben und andererseits bestimmte Beobachtungen pointierter zu illustrieren, als es mit bloßen Korrelationswerten möglich wäre –, so ermöglicht uns doch der Fundamentalismus-Index, in Zukunft weitaus differenzierter über das Thema zu reden.

Die Trennlinie (die es als "Linie" gar nicht gibt) verläuft dann nicht mehr zwischen verschiedenen Gruppen bzw. Individuen, sondern mitten durch jeden Christen und jede Christin hindurch, in denen fundamentalistische und nicht-fundamentalistische Tendenzen miteinander im Streit liegen. Der Fundamentalismus-Index – wenn wir ihn der Anschaulichkeit halber in einer Skala von 0 bis 100 ausdrücken wollten – liegt niemals bei 0 und niemals bei 100, sondern immer irgendwo dazwischen. Und er kann im Laufe der Zeit wachsen oder schrumpfen. Für mich als Autor dieser Zeilen ist es äußerst relevant zu wissen, dass ich keine Ausnahme zu dieser Regel bin. Wenn ich mich mit Fundamentalismus beschäftige, dann habe ich nicht mit Menschen in einem "anderen Camp" zu tun, sondern ich beschäftige mich mit Realitäten in mir selbst. Dieses dynamische Verständnis von Fundamentalismus ermöglicht uns, nicht mehr von "dem Fundamentalismus" oder "den Fundamentalisten" zu reden, sondern von stärker oder weniger stark ausgeprägten "fundamentalistischen Tendenzen", die sich zudem recht genau messen lassen.

Diese Einsicht ist gleichzeitig die Grundlage für die möglicherweise konstruktivste Weise, mit fundamentalistischen Tendenzen umzugehen. Die besteht vermutlich nicht in einer öffentlichen Anti-Fundamentalismus-Demonstration, in der wir ein lautstarkes Bekenntnis gegen den Fundamentalismus unterschiedlichster Couleur ablegen – und dabei vielleicht noch nicht einmal bemerken, wie sehr diese Denkweise verrät, dass wir selber Gefangene eines fundamentalistischen Denkmusters sind. Die wirksamste Art, Fundamentalismus zu begegnen, scheint im Lichte unserer Forschung die unspektakuläre Arbeit an unseren eigenen persönlichen und gemeindlichen Problembereichen ("Minimumfaktoren") zu sein. Es könnte sein, dass wir innerhalb dieser Prozesse das Wort "Fundamentalismus" nicht ein einziges mal verwenden. Aber wir erleben, dass er sowohl in uns selbst als auch in anderen Menschen deutlich zurückgeht – augenscheinlich ganz "von selbst". Was an seine Stelle tritt, ist vertiefte Hingabe an Christus und an seine Mission.

Christian A. Schwarz, Leiter von NCD International

Inmitten von Medienberichten, die in allen Teilen der Welt das Wachstum von Fundamentalismus beklagen, sind die empirischen Daten, die wir erheben konnten, wirklich gute Nachrichten. In Zehntausenden Gemeinden weltweit geht der Trend in eine ganz andere Richtung als öffentlich wahrgenommen, und die Früchte dieser Entwicklung sind deutlich sichtbar.

Im nächsten Newsletter: Warum NCD den Fundamentalismus schrumpfen lässt.

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